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Tante Inge haut ab
(2009)
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Author: Dora Heldt
Publisher: Deutscher Taschenbuch Verlag
Language: German
Pages: 340
ISBN: 9783423247238
Genre: Romane & Erzählungen
Format: Taschenbuch

Die erste Begegnung zwischen Christine Schmidts Lebensgefährten Johann und ihrem Vater Heinz ging gründlich daneben (Dora Heldt: Urlaub mit Papa, dtv). Auch als gestandene Frau von Mitte 40 möchte man ja nicht, dass der Partner denkt, man entstamme einem Haufen meschuggener Nervensägen, denen jeglicher Bezug zur Realität fehlt. Also startet Christine einen neuen Versuch: Beim Urlaub auf Sylt, im Haus von Christines Eltern, soll Johann davon überzeugt werden, dass ihre Familie eigentlich ganz nett und normal ist.

Schon am Bahnsteig ahnt Christine, dass das wohl auch diesmal schief gehen wird. Denn mit Sack und Pack und einem knallroten Hut steht auf einmal Papas Schwester da, Inge Müller, die eigentlich bei ihrem Mann Walter in Dortmund sein sollte. Tante Inge, so stellt sich heraus, war zur Kur. Dort muss ihr wohl das eine oder andere Licht aufgegangen sein, denn sie hat beschlossen, ihr Leben grundlegend zu verändern.

Schön für Inge. Aber was wird ihr "großer Bruder" Heinz dazu sagen? Er ist schon seit Kindertagen davon überzeugt, Inge vor jeglichem Unheil bewahren zu müssen. Und wer Heinz kennt, weiß: wo er helfend eingreift, da wächst kein Gras mehr. Das weiß auch Inge und hält sich zum Ärger der Verwandten bezüglich ihrer Pläne sehr bedeckt. Dass nun auch noch Inges Kur-Freundin Renate auftaucht, die Inge "beistehen" will und mit ihren eigenen Spekulationen die Gerüchteküche weiter anheizt, macht die Sache nicht einfacher.

Heinz, sein Kumpel Kalli und Schwager Walter starten mit Renates Hilfe ein Rettungsprogramm für Inges Ehe, das Heinz Eheweib Charlotte aus dem Haus und Tochter Christine auf die Palme treibt. Die Aktion mündet prompt in ein fürchterliches Tohuwabohu, im dem unter anderem eine Hecke, ein angebrochener Hintern und ein Polizeieinsatz eine Rolle spielen.

Christine ist weiter denn je davon entfernt, ihre Familie als nett und normal präsentieren zu können.

Ein Gutes hat der ganze Zirkus jedoch: Er bringt Christine ins Grübeln. Tante Inge wagt mit Mitte 60 noch einen Neuanfang, Christine dagegen graut es dermaßen vor Veränderungen, dass sie mit Johann immer noch eine Wochenendbeziehung führt, obwohl es die Option gäbe, zu ihm nach Bremen zu ziehen.

Wird auch Christine Mut zur Veränderung fassen? Und was genau hat eigentlich Tante Inge vor? Bisher hat sie sich ja standhaft geweigert, ihre Familie in ihre konkreten Pläne einzuweihen. Nur Anika, die nette Bedienung als dem Lokal "Badezeit", weiß Bescheid. Aus gutem Grund. Und zum Glück. Denn wer weiß, wie die Geschichte sonst ausgegangen wäre ...

Christines Familie ist einfach ... unbeschreiblich! Wenn Heinz und sein Schwager am Telefon die Befindlichkeiten der weiblichen Familienmitglieder erörtern, dann bleibt kein Auge trocken. Und Schwager Walter, der sparsame Steuerinspektor im Ruhestand, steht Heinz in nichts nach.

So richtig rund gehts, sobald Heinz seine Rentnergang um sich schart. Mit Kalli und Walter bildet er eine Art temporärer Strohwitwer-WG, und sie haben nur ein Ziel vor Augeh: Inge zu beschützen, wenn sie auch keine Ahnung haben wovor. Wie sollten sie auch? Von dem, was um sie herum vorgeht, bekommen sie mangels Aufmerksamkeit maximal die Hälfte mit und reimen sich den Rest zusammen. Das ist nicht gerade die optimale Ausgangslage für Aktionen gleich welcher Art. Aber saukomisch für den Leser!

Es müsste Heinz und seinen Kumpels doch irgendwann mal aufgefallen sein, dass ihre Rettungsmissionen grundsätzlich im Desaster enden. Aber sie können das wohlmeinende Einmischen einfach nicht lassen. Johann schätzt seinen quasi-Schwiegervater diesbezüglich richtig ein: "Solange er das Gefühl hat, dass was nicht stimmt, wird er sich darum kümmern." (S. 165). Und solange er das tut, hat Tochter Christine was zum Aufregen, Verzweifeln und Fremdschämen und der Leser was zu lachen.

Wer über eine ähnlich anstrengende Verwandtschaft verfügt wie Christine, wird vieles wiedererkennen und sich sagen: "Gottseidank gehts nicht nur bei uns so zu!" Andere werden erleichtert seufzen: "Ganz so abgedreht ist meine Sippe zum Glück nicht!" Wer sich bei diesem Roman in keinster Weise an seine eigene Familie erinnert fühlt, hat entweder keine oder er hat enormes Glück gehabt. Das ist schon fast nicht vorstellbar ... eine gänzlich heinzfreie Verwandtschaft! Denn sind wir nicht alle ein bisschen Müller und Schmidt?