Doghousesmall
Doghouse
4098021
Der Fluss
(2019)
DogstarDogstarDogstarDogstarDogstarDogstarDogstarDogstarDogstarDogstar

Author: Peter Heller
Publisher: Nagel & Kimche
ISBN: 9783312011346
Format: Hardcover

Zwei Männer und der Fluss

Andrea O’Brien über „The River“ von Peter Heller

Mit wenigen Zutaten gelingt Peter Heller mit »The River/ Der Fluss« ein Meisterstück der Spannungsliteratur. Dieses Buch sollte mit einer Warnung versehen werden: Wer es in die Hand nimmt, wird es nicht mehr weglegen!Von der Idylle zum Höllentrip

Wynn und Jack sind zwei junge Männer, die seit Studienbeginn eine innige Freundschaft verbindet. Sie wollen in den Semesterferien über mehrere Wochen mit dem Kanu auf dem Maskwa Fluss in Kanada durch die Wildnis paddeln. Beide sind versierte Outdoor-Experten und haben große Freude daran, weitab von der Zivilisation die Natur zu erleben. Wie gut sie miteinander harmonieren, erfahren wir schon auf den ersten Seiten, doch die Tiefe und Poesie ihrer Freundschaft erschließt sich erst im Verlauf des Romans.

Obwohl Heller uns schon von Beginn an mit seinen eindrücklichen Naturbeschreibungen in die Geschichte zieht und wir begeistert zu Wynn und Jack ins Kanu steigen, wird ziemlich schnell klar, dass es in diesem Roman nicht um ein idyllisches Männerabenteuer geht. Es dauert nicht lange, da schiebt sich die erste dunkle Wolke vor die Sonne, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Weil Jack Brandgeruch wittert, steigt er auf einen Baum und erkennt in der Ferne einen Waldbrand von ungeheurem Ausmaß, der sich unerbittlich auf die beiden zubewegt. Und schon wird aus der entspannten Flussreise ein Wettlauf gegen die Zeit.

Damit hat der Autor in Sachen Nervenkitzel also schon mal die Daumenschrauben angelegt, und die dreht er sofort ein bisschen weiter zu: Im Nebel hören die beiden einen Streit, die Beteiligten können sie allerdings nicht sehen. Schreie gellen über den Fluss. Zuerst paddeln die beiden weiter, doch nach einigem Überlegen beschließen sie, trotz der durch den Brand drohenden Gefahr umzukehren, um sich zu vergewissern, dass niemand zu Schaden gekommen ist, und um die anderen in der Gegend vor dem großen Feuer zu warnen. – Und mit dieser Entscheidung besiegeln Jack und Wynn ihr Schicksal.

Wenige Zutaten, meisterhaft verquickt

»The River« ist ein gelungener Spannungsroman, der mit wenigen Zutaten auskommt. Peter Heller braucht keinen komplizierten Plot, kein Tarnen und Täuschen, keine Psychospielchen oder doppelten Boden, seine Story ist so geradlinig wie die Figuren, die sie bevölkern. Stattdessen führt er uns geradezu meisterhaft vor, wie man mit einfachen Elementen und einer klassischen, vermeintlich vorhersehbaren Grundkonstellation große Spannung erzeugen kann.

Hier wird eine ungemein packende, aber auch tief berührende Geschichte erzählt, die man so schnell nicht mehr vergisst. Der Plot, von einer parabelhaften Schlichtheit, wird von einer derart bildgewaltigen Sprache gespeist, dass die Erfahrung der beiden Protagonisten nahezu schmerzhaft erlebbar wird: Auch wir wittern Brandgeruch, unsere Arme sind müde vom schnellen Paddeln und auf unserer Zunge liegt der Geschmack von Blaubeeren. Ein unvergesslich viszerales Erlebnis!

Der Roman funktioniert wunderbar, und das liegt nicht nur an Peter Hellers genialen Technik des Spannungsaufbaus, sondern auch an seiner überragenden Erzählkunst, die mitunter an Jack London und Jack Kerouac erinnert. Heller beeindruckt allerdings auch mit seinem umfangreichen Fachwissen, was nicht weiter verwundert, denn er hat selbst einschlägige Erfahrungen mit Abenteuerreisen gemacht und genießt neben einigen Auszeichnungen für seine Romane auch einen hervorragenden Ruf als Sachbuch-Autor. Der Mann weiß also genau, worüber er schreibt.- Fest steht also: »The River« ist viel mehr als ein Thriller.

Bühne frei für die Hauptfigur

Im Zentrum des Romans stehen zwei menschliche Protagonisten, doch die wahre Hauptfigur ist die Natur, mit all ihren Facetten.
Majestätisch in ihrer stillen Pracht wirkt sie zunächst nur wie der perfekte Hintergrund für die Reise und das innige Miteinander der beiden Kanuten. Doch das Bild trügt. Dass die Natur auch andere, potenziell lebensgefährliche Facetten hat, wird bereits früh in Rückblenden angedeutet: Hier skizziert der Autor Schlüsselszenen, die wie das Sonnenlicht auf dem Erzählfluss aufblitzen.

Wer jetzt allerdings glaubt, Heller wolle seine Leser etwa mit dem alten Thema vom Mann und seinem Überlebenskampf in der Wildnis hinterm Ofen hervorlocken, hat sich getäuscht. Obwohl die Natur in diesem Roman auch immer wieder zur Antagonistin wird, geht es in »The River« um viel mehr: Dieser Roman ist nämlich auch eine feingeistige Studie der Innenwelt seiner Protagonisten.

Meditativ, leidenschaftlich, bezaubernd, mitreißend, bedrohlich, tieftraurig, tröstlich, überwältigend und aufwühlend: Das ist »The River« – und noch so viel mehr.

Die tiefe Verbundenheit der beiden gegensätzlichen Hauptfiguren – der sanfte Riese Wynn und sein pragmatischer, von der Vergangenheit gezeichneter Freund Jack – bildet das Herz dieser Geschichte. Heller konfrontiert sie mit einer Situation, die ihnen eine drastische Entwicklung abverlangt und sie zwingt, die vermeintlichen Grenzen ihrer Persönlichkeit zu durchbrechen. Und die Leser, die den beiden jungen Männern dank Heller schon seit den ersten Seiten eng verbunden sind, verfolgen das Drama mit angehaltenem Atem.

Ein Wahnsinnstrip, der garantiert niemanden kalt lässt.

(c) Andrea O’Brien, 2019

Peter Heller: Der Fluß (The River) 2019. Aus dem amerikanischen Englisch von Matthias Strobel. Nagel & Kimche, Zürich 2019. 312 Seiten, 22 Euro. –Das Buch erscheint am 19. August. Verlagsinformationen.
Wenn Andrea O’Brien keine Krimis liest oder über Krimis schreibt, dann übersetzt sie sie. Und noch ein paar andere tolle Bücher dazu. Mehr dazu auf: www.andreaobrien.de
Ihr Blog über englische Spannungsliteratur: krimiscout.de
Ihre Texte bei CrimeMag.